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Gastbeitrag von Dirk Rogl: Open Data allein ist nicht genug

Dirk Rogl begleitet seit 20 Jahren als Redakteur, Analyst und Berater die Innovationskraft der globalen Tourismuswirtschaft. Er ist Analyst bei Phocuswright, stellvertretender Leiter des Kompetenzzentrums Tourismus des Bundes und berät mit Rogl Consult DMO´s, Online-Reiseportale und Leistungsträger.

Als Keynote auf der Outdooractive Conference 2018 erklärte Dirk Rogl den Teilnehmern wer in Zeiten von Open Data noch beim Gast relevant bleibt. Die wichtigsten Erkenntnisse erfahren Sie hier im Blog.

Der globale Reisevertrieb verändert sich in atemberaubender Geschwindigkeit. Eine Konsequenz: Einige globale Plattformen haben den umfassenden Zugriff auf den Massenmarkt und damit auf den Gast von morgen. Kein Unternehmen durchleuchtet den Kunden in allen Instanzen der Customer Journey so umfassend wie Google. Und kein anderes Reise-Portal ist so erfolgreich wie Booking.com. Und sonst?

Drei gute Nachrichten vorab.

Erstens: Es gibt reichlich Wege vorbei an diesen beiden Giganten.

Das liegt schon daran, dass neue Boom-Märkte neue globale Player hervorbringen, China etwa mit Ctrip.com, dem schon heute drittgrößten Online-Reisebüro der Welt und mit den IT-Giganten Tencent und Alibaba, die schon heute in einer Liga mit Facebook und Amazon spielen. Noch kennen wir diese neuen Marktführer kaum. Das wird sich ändern.

Zweitens: Nein, niemand muss auf all diesen Plattformen präsent sein.

Förderlich ist es aber schon. Denn der Kunde liebt One-Stop-Shops, die von der Inspiration bis zur digitalen Reisebegleitung und eben auch Zahlung vor Ort alle Dienste anbieten. Genau das ist die Zukunft. Google und Booking.com haben die Vielfalt europäischer Reisedestinationen längst umfangreich abgebildet, jeder nach ganz eigenen Regeln. Andere werden es zeitnah tun.

Drittens: Guter Content bahnt sich immer seinen Weg.

Eine Binsenweisheit, aber mit viel Tiefgang. Gastgeber mit echten Alleinstellungsmerkmalen und Superlativen hatten schon in der analogen Welt gute Karten. Die Nachfrage findet dieses Angebot. Und dazu bedarf es nicht zwingend des schönsten Panoramas, einzigartiger Architektur, Kultur und Geschichte. Manchmal hilft auch ein herausragendes Marketing, die Uraufgabe einer Marketing-Organisation.

Personalisierte Angebote beeinflussen Reiseentscheidungen

Leider gibt es nicht nur gute Nachrichten. Statt dicker Kataloge aus der analogen Welt und der quasi endlosen Ergebnislisten aus dem E-Commerce heutiger Prägung werden künftig personalisierte Angebote die Reiseentscheidung massiv beeinflussen. Künstliche Intelligenz ist der Schlüssel zum Erfolg. Es kann gar nicht anders sein, denn schon ein Smartphone-Display zwingt zur Selektion. Eine Hand voll Angebote mögen hier Platz finden. Und das ist eine ganze Menge im Vergleich zu künftigen sprachgesteuerten Buchungssystemen. Die Skills von Amazon Alexa geben gemeinhin eine Antwort. „Das beste Angebot ist dieses hier“. Es wird dauern, bis die Mehrheit dieser Kunden solchen Empfehlungen folgt. Aber es wird kommen.

Das Dilemma: Niemand kennt die Regeln, nach denen derartige Platzierungen und Empfehlungen ausgespielt werden. Und es geht hier wahrlich nicht nur um das reiseferne Alexa. Google Duplex kann schon heute verdammt gut Serviceleistungen sprachgesteuert buchen. Apples Siri lernt eifrig dazu. Hinter all diesen Angeboten stecken dynamische Algorithmen, ähnlich geheimnisvoll wie die Resultate (SERP) der bekannten Google-Suche. Wer vorn dabei sein will, muss a. die richtigen Inhalte liefern und b. stetig lernen und optimieren.

Ein Schlüssel zum Erfolg kann Open Data sein, die Bereitstellung von Content möglichst ohne jegliche Einschränkung. Denn (siehe Drittens), guter Content bahnt sich seinen Weg. Aber was ist mit jenem Content, der nicht herausragt?

Interessant ist, dass die Diskussion um Open Data im Tourismus zurzeit fast ausschließlich im deutschsprachigen Raum geführt wird und das lediglich beim Absender. Niemand weiß, was die potenziellen Empfänger, Google, Booking.com & Co, mit den offenen Datenbanken anstellen. Es zählt das Vertrauen, dass diese Daten sinnvoll und gewinnbringend verwendet werden. Mehr nicht.

Hier ist Vorsicht geboten. Google benötigt nicht zwingend Daten der Destinationen. Google hat sie bereits. Online-Reisebüros hingegen benötigen sie schon. Aber wollen die großen Plattformen tatsächlich Open Data? Eines wissen wir vom jahrzehntelangen Erforschen der Google-SERP, sprich der Search Engine Optimierung: Unique Content wirkt sich positiv auf die Platzierung in den Ergebnissen aus. Wer Austauschbares bietet, wird abgestraft. Open Data ist jedoch das Gegenteil von Uniqueness. Das ist ein echtes Dilemma.

Und noch etwas scheint mir nicht hinreichend bedacht: Es geht eben nicht nur um die schnöde Produktion von Destinations-Daten, für die allein in Deutschland tausende von DMO´s eine hohe Kompetenz haben. Es geht darum, Mehrwerte für den Gast zu schaffen. Ein Insider-Tipp etwa ist nur so lange ein Insider-Tipp, wie er nicht öffentlich geteilt wird. Der kleine Geheimtipp vom Host ist nicht nur in der analogen Welt das Salz in der Suppe. Gleiches kann gelten für herausragende Fotos und – Achtung – für das Reiseprodukt selbst. Exklusive Angebote finden sich nicht zwangsweise auf jedem Portal.

Die globalen Vertriebssysteme unserer Branche unterscheiden seit jeher fein säuberlich in „bookable content“ und „non-bookable content“. Und sie verfügen über gut geschützte Schnittstellen zu Midoffice-Systemen, die ein zentraler Teil der Travel Technology sind. Hier liegen die Kundendaten und die Reisepläne, all das, was relevant ist für die personalisierten Angebote, die da kommen werden.

Für all das gibt es im globalen Reisevertrieb übrigens längst etablierte Normen, die durchaus den Charakter von Standards haben. Für Flugtickets geben der Luftfahrtverband Iata und die GDS (Amadeus, Sabre, Travelport) diese Normen vor. In der Pauschaltouristik gibt es Spezifikationen wie den Offenen Touristischen Datenstandard, der gerade an einer eigenen Normierung auch des „non-bookable content“ arbeitet. Und auf globaler Ebene versucht sich seit 1999 die Open Travel Alliance an einer segmentübergreifenden Normierung (und damit Öffnung) der touristischen Datenströme.

Die globalen Player arbeiten häufig mit an diesen Normen, die sie ab einer gewissen Marktgröße gern um eigene Spezifikationen ergänzen, eben um die Einzigartigkeit ihres Produkts hervorzuheben. Klar ist aber: technische Normen müssen global gedacht werden. Und sie sollten die – wie ich meine berechtigten – Interessen der Gatekeepper im Reisegeschäft berücksichtigen.

Genau deshalb beschäftigt sich ein kleiner Kreis von Enthusiasten zurzeit mit einer logischen Weiterentwicklung von Open Data, dem Controlled Open Data. Das ist kein Widerspruch sondern die logische Aufteilung des Contents in eine offene und eine geschlossene Informationsebene. Was wir damit meinen, habe ich in diesem Blogpost erklärt. Und wir haben auf der Outdooractive Conference 2018 munter darüber diskutiert. Allgemeiner Konsens in unserem Workshop: Open Data macht unendlich viel Sinn, aber eben nicht für alles.

Noch ist Controlled Open Data ein zartes Baby, frei von wirtschaftlichen Zwängen und Interessenkonflikten. Aber es lohnt sich, dieses Thema weiterzuentwickeln. Ohne Frage sind viele Destinationen geradezu dafür prädestiniert, einen guten Teil ihrer Informationen ohne Hemmnisse (sprich: open) den globalen Plattformen zur Verfügung zu stellen. Doch die Grenze zum kontrollierten Datenvertrieb muss jeder Datenlieferant für sich klar definieren.

Unter dem Strich zählt das Wohl des Kunden. Der hat in unserer noch rein theoretischen Controlled-Open-Data-Welt übrigens die volle DSGVO-konforme Datenhoheit. Er entscheidet selbst, welchem Anbieter er welche Kundendaten zur Verfügung stellt oder eben auch nicht. Bewegungsdaten etwa sind für die touristische Vermarktung von morgen das vielleicht wichtigste Datengut. Aktuell liefert der Kunde diese Informationen bevorzugt und häufig ungebremst an den Betreiber seines Smartphone-Betriebssystems: sprich an Google oder Apple. Open Data allein wird diese Vormacht nicht brechen. Denken wir also einen Schritt weiter, und zwar zum Wohle des Kunden.

Mehr von Dirk Rogl unter:

www.rogl.de, twitter: @rogl