10.1.2023 | Hartmut Wimmer | 0 Kommentare
(Lesedauer: 9 min.)
In der ruhigen Zeit „Zwischen den Jahren“ hat man auch als CEO eines international stark wachsenden Unternehmens mal ein wenig Zeit zum Durchschnaufen und Gedanken sortieren. Bei mir führt das regelmäßig dazu, dass alle Eindrücke der vergangenen Monate in einen Plan für die kommenden Monate verwandelt werden. Nachfolgend möchte ich gerne ein paar meiner Gedanken und Erkenntnisse mit Euch teilen.
Nachdem 2022 das Reisen wieder erlaubt war, war ich auch gleich wieder auf einigen internationalen Konferenzen unterwegs. Eigentlich ist das nichts Besionderes, aber in diesem Jahr gab es andere Themen. Es ging praktisch immer um Nachhaltigkeit. Das ist nicht weiter verwunderlich, wenn es die Conferenz der GSTC in Sevilla ist, oder die Conferenz von Green Destinations in Athen. Aber wenn selbst die größte Digital- und Investoren-Konferenz, die NOAH Conference in Zürich jetzt voll auf Sustainability gepolt ist, dann ist etwas passiert. „Sustainable is the new Digital“ sagte Marco Rodzynec, der Gründer von NOAH auf der Conferenz im Dezember.
Ich würde von mir nicht behaupten, dass ich ein Grüner bin, jedenfalls nicht bei den Wahlen. Aufgrund meiner kulturellen Herkunft bin ich allerdings von Haus aus sehr tief verwurzelt in meiner Allgäuer Heimat und ich bin aufgewachsen mit den Werten und Traditionen eines Bergvolkes, das von und mit der Natur lebt. Bei uns sind die Ressourcen, die wir verbrauchen, seit jeher so bewusst eingesetzt, dass das Land, auf und von dem wir leben, auch unsere Nachfahren ernähren kann.
Bei mir hat sich dieser Lebensstil auch in die moderne technische Welt übertragen. Wir heizen unser Positiv-Energie-Haus seit vielen Jahren mit einer Wärmepumpe, die mit Solarstrom betrieben wird, den wir selbst auf unserem Dach produzieren. Wir fahren mit Strom, seit es Elektroautos gibt – auch wenn die Politik und die Autoindustrie es einem dabei nicht gerade leicht machen. Wir vermeiden Abfall und Plastik, wo es geht. Wir kaufen lokale Produkte und schauen auf Qualität, auch wenn das etwas mehr kostet. Und, ich drucke schon lange nichts mehr auf Papier aus.
Unsere komplette Firmenflotte ist seit Jahren mit Strom auf den Strassen unterwegs und wir nutzen die Bahn, soweit das sinnvoll möglich ist. Die deutschen Autohersteller haben diese Notwendigkeit (nicht Trend) – protegiert von der deutschen Politik – volles Rohr verschlafen. Wir kaufen trotzdem immer schon deutsche Autos, um uns nicht noch mehr von anderen Weltmächten abhängig zu machen. Auch wenn Tesla in Deutschland produziert, geht das Geld trotzdem nach Amerika zu einem Verrückten. Bei meinem neuen High-Tech E-Auto fiel vor Weihnachten die Heizung aus und auch wenn ich als Bergmensch auch mit Jacke Auto fahren könnte, frieren dennoch die Scheiben zu. Früher war das Autohaus in der Lage, ein Ersatzteil am nächsten Tag zu bekommen – bei meinem Auto dauerte das jetzt drei Wochen. Ich denke, es braucht in der deutschen Vorzeige-Industrie ein Umdenken, von Bestandsschutz hin zu Innovation und von kurzfristigen Börsenkursen hin zu nachhaltigem Wirtschaften. Das, was Tesla jetzt ist, wäre eigentlich die Rolle der deutschen Autobauer gewesen.
Und die Deutsche Bahn tut ebenfalls alles dafür, dass man die Öffentlichen Verkehrsmittel lieber nicht nutzen möchte. Wieso ist denn so eine wichtige Infrastruktur (auch Häfen, Flughäfen, Internet, Stromnetz, etc.) nicht, wie es bei den Strassen der Fall ist, einfach in der Hand des Staates und die Regierung handelt im Sinne des Volkes und der notwendigen Prioritäten?
Auf der NOAH Conference habe ich als Speaker Outdooractive vorgestellt mit „Sustainability through Digitization“. Ich war der drittletzte von mehr als 300 Speakern, deswegen hatte ich viel Zeit, mir die anderen Vorträge anzuhören.
Beim Thema Energie gibt es gleich mehrere Firmen, die eine ganzheitliche Lösung anbieten. Wenn auf jedem Dach eine Solaranlage installiert würde, reichte das aus, um den weltweiten Energiebedarf zu decken. Um den Strom zwischenzuspeichern braucht es einen Speicher in jedem Haus, damit der Strom, der an sonnigen Tagen produziert wird, auch in der Nacht oder bei schlechtem Wetter zur Verfügung steht. Und natürlich braucht es auch eine Ladestation für die Elektrofahrzeuge in jedem Haus. Die Häuser werden mit elektrisch betriebenen Wärmepumpen beheizt. Ein intelligentes Strom-Management sorgt dafür, dass die Energie richtig verteilt wird. Mit der Einbeziehung der Batterien der E-Autos entsteht ein großer dezentraler Energiespeicher. Und ein Ort wird durch die Vernetzung zu einem dezentralen Kraftwerk. Damit braucht es keine der heutigen Kraftwerke als Energiequellen mehr und die Politik könnte sich um eine zukunftsfähige Lösung kümmern, anstatt über Energielieferungen aus fragwürdigen Staaten zu verhandeln und anstatt die Laufzeiten der Kraftwerke zu verlängern. Es gibt Firmen, die solche Lösungen im Paket anbieten. Deren Angebote gehen sogar so weit, dass die Hauseigentümer die Investition gar nicht selber finanzieren müssen, sondern das Produkt wird als Abo-Vertrag angeboten mit einer monatlichen Gebühr. Mit der Gebühr bezahlt man dann nicht mehr die Bereitstellung von Energie, sondern die Benutzung von Hard- und Software. Der Flaschenhals für die schnelle flächendeckende Implementierung dieser Lösung ist einerseits die Industrie, die leider die Technologie nicht so schnell produzieren kann und andererseits das Handwerk, das nicht so schnell so viele solcher Anlagen installieren und betreuen kann. Leider habt sich die europäische Wirtschaft zu sehr darauf verlassen, dass die außereuropäischen Produktions-Ketten nicht nur günstig sind, sondern schon auch funktionieren werden. Und leider wurde über eine zu lange Zeit das Handwerk nicht ausreichend entlohnt und wertgeschätzt, so dass es jetzt schwer sein wird, diese fundamentale Kompetenz schnell wieder zurückzuholen.
Bei der Konfiguration meines Autos vor fast zwei Jahren gab es bei den Sitzbezügen die Auswahl „Veganes Leder“. Ich habe das vorschnell und verächtlich abgetan als: Das wird schon wieder so ein Plastik-Zeug sein. Und dann habe ich Echtes Leder bestellt in der Meinung, das ist wenigstens ein Naturprodukt (zumindest wenn der Gerb-Prozess nicht zu viele Schwermetalle beinhaltet) und die Haut der Tiere würde ja sonst im Abfall landen. So kann man sich irren. Jetzt habe ich gelernt wie die Zukunft der Nahrungsmittelversorgung aussieht. Wir wissen alle, dass die derzeitige Nahrungsmittelproduktion auf landwirtschaftliche Art unseren Planeten ruiniert. Wir leben heute schon quasi auf Pump von unseren Nachfahren und wenn die Bevölkerung weiter wächst, steht das in einem krassen Gegensatz zur Lösung des Klimaproblems. Dieses Dilemma ist auf herkömmliche Art nicht mehr zu lösen, auch nicht, wenn wir jetzt alle auf vegetarische Ernährung umstellen würden. Es gibt aber eine Lösung, und die heißt: Unsere Nahrung wird zukünftig in großen Stahltanks hergestellt, in denen Nährlösungen, Pilze, Algen und Fermentierung-Prozesse Eiweiße erzeugen. Ich hasse industriell erzeugte Lebensmittel. Wenn bei mir die Zutaten-Liste eines Lebensmittels länger ist als eins, und wenn dann auch noch kryptische chemische Ausdrücke enthalten sind, dann steigt meine Abneigung exponentiell. Aber bei der zukünftigen Erzeugung der Eiweiße durch die neuen Verfahren sind keine unnatürlichen Chemikalien im Spiel. Diese Prozesse sind vergleichbar mit dem Nachzüchten menschlicher Teile aufgrund der menschlichen DNA. Mit der Integration der DNA unserer gewohnten Nahrung entsteht dann auch ein exakter Nachbau von dem was wir kennen und mögen, da gibt es also keinen Unterschied. Nur die Herstellung schädigt den Planeten nicht mehr, denn die kann dezentral erfolgen, also jeder Ort hat seine eigene Produktion und die Lebensmittel müssen nicht mehr weite Strecken transportiert werden. Die Produktion erfolgt in einem großen Edelstahlbehälter (im Dunkeln) und die Energiezufuhr kann direkt über Solarmodule auf dem Dach erfolgen. Bei der Produktion können alle Arten von Eiweiß-basierten Lebensmittel definiert werden. Das vegane Leder für meine nächsten Autositze ist da auch dabei und für mich ist das der nächste logische Schritt, denn es werden ja auch keine Tiere mehr geschlachtet.
Kriminelle, die sich Klimaaktivisten nennen und Gemälde zerstören und den Verkehr aufhalten, sollte man bestrafen und ihnen nicht noch mediale Aufmerksamkeit schenken. Politiker, die sich seit vielen Jahrzehnten den Mahnungen der Wissenschaft verwehren und die sich trotzdem auf Klimakonferenzen treffen, entweder keine Zusagen machen, oder die gemachten Zusagen verschieben, sollte man ebenfalls zur Rechenschaft ziehen. Diese Politiker handeln egoistisch indem sie für Wählerstimmen bei der nächsten Wahl die notwendigen Entscheidungen nicht treffen und damit das Problem auf ihre Nachfolger und auf die gesamte Weltbevölkerung übertragen. Leider gibt es für schlechte Politiker kein Regulativ außer das jeweilige Volk, und die Möglichkeit der Veränderung bei der nächsten Wahl – falls es in dem jeweiligen Land überhaupt eine demokratische Wahl gibt. Insgesamt wird also nur Information und Aufklärung der Bevölkerung helfen, deutliche Richtungswechsel einzuschlagen.
Ich bin der Überzeugung, dass nur ein radikaler Richtungswechsel überhaupt eine Reduktion des Trends bewirken kann. Ich habe viele Vorträge gehört die begannen mit „Wir haben keine Zeit mehr“ und es gab auch nicht wenige die begannen mit „Es ist eigentlich schon zu spät“. Das waren Vorträge von Firmen, NGOs und Investoren, die sich mit dem Pflanzen von Bäumen in Afrika beschäftigen. Ich gebe hiermit zu, ich habe die Bäumepflanzer immer belächelt. Ich habe die Kompensation von Treibhausgas abfällig als modernen Ablasshandel gesehen und war der Meinung, dass nur eine radikale Umkehr bei der Produktion von CO2 die Lösung sein kann. Mittlerweile glaube ich tatsächlich nicht mehr, dass das alleine ausreichen wird. Natürlich müssen wir alle Emissionen dramatisch reduzieren, in vielen Bereichen komplett auf Null (siehe oben). Dort wo das nicht so schnell und nicht so einfach geht, muss die enstehende Menge CO2 in Pflanzen gebunden werden, die zusätzlich gepflanzt werden (denn die bestehenden Pflanzen reichen ja offensichtlich nicht für unsere Emissionen). Ich habe jetzt auch verstanden, wie daraus eine tragfähige Industrie mit einem CO2 Handel entstehen kann, und warum Investoren in Firmen investieren, die den Boden verbessern, für Bewässerung sorgen, Bäume pflanzen und mit Sensoren die Umwelt, das Wachstum und viele weiteren Werte überwachen und in die Daten auf Plattformen bringen. Und jetzt finde ich auch den modernen Ablasshandel gut und finde, dass diejenigen, die den Dreck verursachen, auch diejenigen bezahlen müssen, die ihn wegräumen – in dem Fall ein Gas, das auch gut in Afrika mit Bäumen weggeräumt werden kann.
Es gibt mehrere Hundert Gütesiegel für Nachhaltigkeit. Ich verdrehe immer die Augen, wenn unsere Tourismus-Kunden immer wieder mit neuen Gütesiegeln und Zertifizierungen daherkommen. Als Endbenutzer kann ich ehrlich gesagt derzeit damit nichts anfangen. Ich habe es aufgegeben, zu verstehen, was sich hinter den Gütesiegeln verbirgt. In den meisten Fällen ist aus meiner Sicht Marketing-getriebenes Greenwashing anstatt ehrlich gemeintem Umdenken.
Beruflich gesehen komme ich dem Thema aber nicht aus. Und ich will dem Thema auch gar nicht auskommen, denn mein Ehrgeiz, die Tourismus-Welt zu digitalisieren, umfasst auch den gesamten Themenkomplex der Nachhaltigkeit.
Bei Outdooractive kümmern wir uns seit unserer Gründung um alle Themen der Nachhaltigkeit, von der Vermeidung von (Individual-)Verkehr über den Schutz der Natur bis hin zur Lenkung der Besucher. Daher ist es voll und ganz in unserem Ansinnen, dass wir uns auch noch tiefer gehend um die Themen kümmern, wie z.B. Energie, regionale Produkte und regionale Wertschöpfung, Abfallvermeidung und Kreislaufwirtschaft, und weitere.
Wir sind Partner von Green Destinations, Mitglied beim GSTC und arbeiten mit vielen weiteren Organisationen zusammen, bei denen es um die Themen Zertifizierung und Gütesiegel geht. Seit meinem Besuch bei der GSTC2022 in Sevilla, wo ich ein Teilnehmer eines Panels war und mich mit vielen Stakeholdern in der Zertifizierungs-Branche unterhalten habe, ist mir klar:
- Es braucht so eine übergeordnete unabhängige Organisation wie die GSTC, die die Kriterien festlegt und sich darum kümmert, dass die Zertifikate vergleichbar und nachvollziehbar werden für den Konsumenten. Das ist auch das Ergebins unseres ESKINAT Projektes gewesen.
- Die GSTC ist angetreten, um dem Wildwuchs eine Ende zu bereiten und einen international anerkannten Zertifizierungs-Standard zu etablieren.
- Derzeit herrscht in der Branche ein kompletter Wildwuchs und die totale Goldgräberstimmung bei den sogenannten Certification Bodies, also den Firmen, die die Zertifizierungen vornehmen.
- Die Certification Bodies zertifizieren mehr oder weniger nach den GSTC Kriterien, denn die GSTC lässt zu dass es auch „recognized Certifiers“ gibt, die einen anderen Standard haben. Insofern ist GSTC leider nicht GSTC.
- Daneben gibt es ja noch die vielen anderen Zertifizierungen und Gütesiegel.
- Jetzt fangen auch einzelne Länder an, die Zertifizierung selbst in die Hand zu nehmen und definieren ihre eigenen Kriterien-Kataloge, die an die GSTC angelehnt sind, z.B. Norwegen, Mauritius und die Türkei.
Ich habe mir jetzt vorgenommen (wie gewohnt größenwahnsinnig), die Daten der Zertifizierungen zu harmonisieren und in einen einheitlichen nachvollziehbaren Maßstab (Score) zu bringen. Gütesiegel von einzelnen Organisationen sollen dabei keine Rolle spielen. Und die Daten sollen transparent und für alle einsehbar sein. Mal sehen, wie weit ich damit komme.
Hartmut Wimmer, Gründer & CEO von Outdooractive
Ich hoffe, ich konnte mit meinen Gedanken ein paar von euch infizieren und auch zum Nachdenken anregen. Vielleicht finden sich ja auch ein paar weitere Mitstreiter in dieser Sache. Und vielleicht habt ihr auch eine Meinung dazu oder Kritik oder andere Rückmeldungen. Ich freue mich über eine rege Diskussion, neue Partnerschaften und viele, denen es nicht egal ist, wie es mit uns und diesem Planeten weitergeht.
Alles Gute und einen schwungvollen Start ins neue Jahr 2023
Hartmut Wimmer
Allgemein, Trends & Forschung, Unternehmen